Zur Besserung der Person - Die Gugginger Künstler
«Wenn ich nicht so wahr wäre, wäre ich nicht so lang in der Anstalt. Wenn ich nicht krank wäre, wäre ich diplomatischer.»
Ein Patient
Dokumentarfilm, 90 min. – Buch und Regie: Heinz Bütler – Kamera: Hansueli Schenkel
Sämtliche Rechte: Heinz Bütler / Xanadu Film
Der Film handelt vom Leben, Denken und Fühlen von fünf Menschen, die Patienten des Niederösterreichischen Landeskrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie (Abteilung Dr. Leo Navratil) waren.
Johann Hauser (1926–1996) und Oswald Tschirtner (1920–2007) sind durch ihre Zeichnungen und Radierungen bekannt geworden. Die Texte und Gedichte von Ernst Herbeck (1920–1991) sind in mehreren Büchern und Lyrik-Anthologien verfügbar. Der Schriftsteller Edmund Mach (1929–1996) sagte über sich einmal: «In puncto Logik habe ich das A und B unsicher in der Hand. Daraus ergibt sich ein falsches C.»
August Walla (1936–2001) malte, zeichnete und führte Aktionen durch (zum Beispiel Baum- und Strassenbemalungen), fotografierte und erfand mit Hilfe verschiedenster Wörterbücher Geheimsprachen.
DIE LANDESANSTALT GUGGING
Edmund Mach
Tief eingebettet, im Kriege ein entfernter Randbezirk von Wien, ein Vorort von Klosterneuburg, dort ist 1896 eine Landesirrenanstalt aufgebaut worden. Dort ist er, der 2er, ein portalgemässer Eintritt und die Kanzlei des Herrn Primars. Vielfach niedergerissen, aufgebaut, heute schön dastehend das Gerippe, jetzt das Fundament eines Vorbildes des sozialistisch angehauchten, gepriesenen Landeskrankenhauses von Gugging. Die Spezialität des Hauses waren die Elektroschocks, die auf dem Haupt des Patienten den Kopf redigieren. Ich hatte selbst 24 Schocks erhalten und damit die höchste Schockanzahl erreicht, die je ein Patient hatte.
Die Leute kommen und gehen. Sie, die meisten werden entlassen. Meistens kommen sie wieder zurück. Die Regel ist, wenn man einmal hier ist, kommt man nicht aus. Es ist wie ein Zubezahrer von den Wärtern, ein Zuhause, ein mangelhaftes Ersetzen von zu Hause. Britische Gäste meinen, da kann man nicht leben – weil die Erziehung als Kind höher steht: Manche sterben hier, ein Ziel, ein Wunder hier in Gugging.
«Es ist im Himmel schön und auf der Erde schön. Auf der Erde ist es halt noch schöner.»
August Walla
«Wie sind doch des Glückes Vorzüge ungerecht verschenkt: Der eine sitzt dreissig Jahre im selben Gemäuer gefangen, während sein Bruder frei und freudig durchs tägliche Leben flattert.»
Ein Patient
«Ich halt’ es nicht mehr aus, ich bleib’ nicht hier, ich werd’ hier ein Narr.»
Johann Hauser
«In puncto Logik habe ich das A und B unsicher in der Hand. Daraus ergibt sich ein falsches C.»
Edmund Mach
«Je grösser das Leid desto grösser der Dichter. Umso härter die Arbeit umso tiefer der Sinn.»
Ernst Herbeck
«Bin selber in Gugging als Gotteszauberer nicht froh.»
August Walla
DIE DICHTUNG
Dialog zwischen Ernst Herbeck und Edmund Mach im Café des Krankenhauses
Mach: Was halten Sie von der Dichtung, Herr Herbeck?
Herbeck: Sie ist nur vorübergehend beim Menschen.
Mach: Ich glaube, dass die Dichtung, die ja schon bei den Griechen einen schönen Zufluss gehabt hat, weiland um den Erlenkönig Schiller, Goethe, Kafka, waren die berühmten mittelalterlichen Dichter, wo wir nicht heraneichen können, nicht. Was sagen Sie dazu, Herr Herbeck?
Herbeck: Ja.
Mach: Und doch ist, wenn man gedichtet hat, ist es ein Zufluss, eine intellektuelle Tat, an die man sich immer erinnert und die bei den Leuten, beim Publikum innebehalten werden soll.
Der Dichter
ist langsam beginnend
schreibend
in seinen Zeilen verharrend
bis Ende kommend
das ist der Dichter
Edmund Mach
«Würde mir kaufen in Ausland ein 1 ausländisch saarländisches Wörterbuch.»
August Walla
Gespaltenheit.
Die Gespaltenheit ist Arbeit der Ärzte.
Diese wird auf den Nenner gebracht.
Ernst Herbeck mit Leo Navratil
Dialog zwischen Edmund Mach und Oswald Tschirtner im Café des Krankenhauses
Mach: Wie fühlen Sie sich hier in Gugging?
Tschirtner: Ich hab’ Ordnung, Ordnung hab’ ich.
Mach: Und wenn Sie den schweren Stein treten, ist nicht ein Ballast oder ein Hindernis für Sie, dass Sie doch heute schon so älter sind, dass Sie spazierengehen müssen und in nichts hineindösen, ist das schwer für Sie?
Tschirtner: Ist schwer.
Mach: Haben Sie in der Schule Botanik gehabt oder Geographie auch?
Tschirtner: Geographie.
Mach: Ich bin nämlich, wie ich im Armenhaus war in Gloggnitz, bin ich zu den Bauern gegangen und hab’ mir eine Jause geholt. Aber die haben mir das Geben anfühlen lassen, und der Beruf des Bauern ist sehr schwer. Dabei haben sie drei, vier Kinder gehabt, die immer an den Füssen gemartert haben und so weiter. Und so bin ich halt zurückgegangen von der Jause mit stimmungsvollem Eindruck. Haben Sie Turnen auch gehabt in der Schule?
Tschirtner: Ja
ANSTALTSLEBEN
Walter Vogt (1927–1988)
Schriftsteller und Psychiater über den Film Zur Besserung der Person
Der Film setzt dort an, wo der Dokumentarfilm aufhört.
Von nie gesehener Schönheit der Auftritt der Pflegergruppe zu Dienstbeginn, die Sequenz, die Anfang und Ende des Films markiert – durch drei Räume hindurch, eine Vedute.
Schadet die Ästhetisierung dem Thema?
Sie schadet ihm keineswegs, im Gegenteil: Erst die perfekte ästhetische Darstellung lässt das wahre Grauen deutlich werden.
Und die geduldigste aller Sequenzen: Der schimpfende, räsonierende Johann Hauser, unbeweglich, starr vor einer Wand stehend, wie er das Anstaltsleben in rasend ausgestossenen Wortkaskaden kommentiert. Das Anstaltsleben findet rings um ihn her unbeeinflusst, unbeeinflussbar, einfach statt.
Der Film hatte etwas angerührt, hatte mit mir etwas gemacht. Ich sagte immer nur: Ich weiss eben auch, wie’s riecht.
In der Tat riecht es in diesen alten, verkommenen, nicht mehr sauberzukriegenden Irrenhäusern ganz spezifisch, nach Schweiss, Urin, Erbrochenem, nach alten Leuten, ungelüfteten Kleidern – nach Katzen, Wellensittichen, falls es welche gibt, und nach billigem Bohnerwachs.
Der Geruch allein, der mich befiel, kann es allerdings nicht gewesen sein. Es war etwas Befreiendes an dem Film gewesen, etwas, das mich nicht losliess, das entschieden stärker war als die gewisse Nausée, bewirkt durch Erinnerungen an Gerüche, an ein Elend, das jedermanns Elend sein kann, auch das meine.
Der Film, fand ich, gibt den dargestellten Künstlern ihre Würde als Anstältler zurück.
Aus: Heinz Bütler, Zur Besserung der Person, Benteli Verlag, 1982 (Auszug)
August Walla mit seiner Mutter Aloisia Walla
«Ich gehöre in die Gemeinschaft.» Oswald Tschirtner